Soziale Medien und Schulnoten

Basierend auf Marker, Gnambs, & Appel, 2018, Educational Psychology Review

Die Nutzung sozialer Medien und Schulnoten

Verschiedene theoretische Ansätze versuchen einen potenziellen Zusammenhang zwischen der Nutzung von sozialen Netzwerkseiten (SNS) und Schulnoten zu erklären.

  1.  Eine Perspektive basiert auf der Time Displacement Hypopthese.1; 2; 3 Diese geht davon aus, dass die Zeit, die für die SNS-Nutzung aufgebracht wird, nicht mehr für vermeintlich wünschenswerteres Verhalten (z.B. Lernen oder sportliche Aktivitäten) verfügbar ist, das ansonsten aufgetreten wäre. Demnach muss die Zeit, die in die Nutzung von Facebook oder Instagram investiert wird, gegenüber der Zeit, die für andere Aktivitäten aufgebracht wird, abgewogen werden. SNS-Aktivitäten würden so schulische Leistungen beeinträchtigen, da die Zeit für den Wissenserwerb, wie zum Beispiel die Vorbereitung des Unterrichts und die Erledigung der Hausaufgaben, reduziert wird.4 Aus dieser Perspektive heraus sind SNS-Aktivitäten konzeptuell ähnlich zu anderen Freizeitbeschäftigungen (z.B. Fernsehen oder Sport). Bisherige Forschungsergebnisse zu intensiver SNS-Nutzung (z.B., wie viel Zeit investiert wurde, Häufigkeit der Logins) und Lernzeiten waren jedoch nicht eindeutig. Während manche Studien einen negativen Zusammenhang feststellten5, waren die Ergebnisse anderer Wissenschaftler*innen gemischt.6; 7 Trotz der intuitiven Attraktivität der Time Displacement Hypothese sind die empirischen Belege umstritten.
  2. Eine zweiter Erklärungsansatz ist die Theorie und Forschung zum Multitasking, also die Nutzung von SNS, während andere Aktivitäten stattfinden. Für den schulischen Erfolg sind SNS-Aktivitäten, die während des Wissenserwerbs stattfinden besonders relevant. SNS können beispielsweise im Schulunterricht, bei der Erledigung der Hausaufgaben oder beim Lernen parallel genutzt werden. Der Schwerpunkt dieser Hypothese liegt weniger darauf, dass die Zeit eher für soziale Medien, statt für die Unterrichtsvorbereitung und das Lernen genutzt wird. Stattdessen wird davon ausgegangen, dass die gleichzeitige SNS-Nutzung die Effektivität des Lernens senkt. Die SNS sorgen für Ablenkung, indem sie die Möglichkeiten bieten, Benachrichtigungen zu lesen und zu kommunizieren, wodurch die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses reduziert wird.8; 9
  3. Darüber hinaus berichten Studien, dass SNS-Nutzung möglicherweise die Qualität und Quantität des Schlafes reduziert.10 Die Querschnittsdaten von jungen Erwachsenen zeigten einen Zusammenhang zwischen der Dauer und der Häufigkeit der SNS-Nutzung und einer Schlafstörung.11 Versuchspersonen, die sich im höchsten Quartil der täglichen SNS-Nutzung befanden, berichteten im Vergleich zu Versuchspersonen des kleinsten Quartils doppelt so häufig von Schlafstörungen. Schlaf wiederum ist ein bekannter Prädiktor für schulische Erfolge.12 Darüber hinaus könnten SNS-Aktivitäten das Stresslevel erhöhen13, was sich negativ auf den Schlaf auswirkt.14 Auch Stress kann ein direkter Prädiktor für die Beeinträchtigung kognitiver Aktivitäten zu Hause oder in der Schule sein.15
  4. Neben Theorien, die einen negativen Zusammenhang stützen, gibt es auch Ansätze für einen positiven Zusammenhang zwischen der SNS-Nutzung und schulischem Erfolg. SNS können das soziale Kapital erhöhen.16; 17 Mit sozialem Kapital ist ein Netzwerk von Beziehungen zwischen Menschen gemeint, welches genutzt wird, um das Erreichen individueller oder kollektiver Ziele zu unterstützen.18 Ein höheres soziales Kapital wird mit besseren schulischen Erfolgen assoziiert.19 SNS können demnach als Mittel dienen, ein Netzwerk zu schaffen, welches Informationen und Unterstützung bereitstellt und demzufolge zu positiven schulischen Resultaten führt.20; 21

Unsere Meta-Analyse

Abhängig davon, welchen theoretischen Ansatz man wählt, kann der Zusammenhang zwischen schulischem Erfolg und SNS-Aktivitäten sowohl positiv als auch negativ sein. Diese sich widersprechenden Annahmen spiegeln sich auch in den Forschungsergebnissen zu den akademischen Zusammenhängen mit SNS-Nutzung wider. Empirische Studien berichteten sowohl negative6, positive22 wie auch gar keine Zusammenhänge.23

In unserer meta-analytischen Untersuchung24 haben wir zwischen drei Formen der SNS-Nutzung unterschieden: Die allgemeine SNS-Nutzung (z.B. die pro Tag aufgebrachte SNS-Zeit; Häufigkeit von Postings mit nicht spezifiziertem Inhalt), die parallele SNS Nutzung im Sinne von Multitasking (z.B. während des Lernens), und die SNS-Nutzung zur Vorbereitung und zum Lernen auf und für die Schule (z.B. Benutzung von SNS, um schulrelevante Themen zu besprechen). Basierend auf diesen drei Formen von Aktivitäten wurden drei verschiedene Meta-Analysen durchgeführt. Eine vierte erforschte den Einfluss von SNS-Nutzung auf die Lernzeit (Time Displacement Hypothese).

Insgesamt 50 Publikationen mit 59 unabhängigen Stichproben konnten in die Analyse eingeschlossen werden. Von diesen Publikationen wurden 46 (55 Stichproben) für die Meta-Analyse zur allgemeinen SNS-Nutzung, acht Publikationen (15 Stichproben) für die Meta-Analyse zur Multitasking-Nutzung und neun Publikationen (zehn Stichproben) für die Meta-Analyse zur Nutzung von SNS zu schulischen Zwecken verwendet. In den Untersuchungen beantworteten Schüler*innen typischerweise Fragen zur SNS-Nutzung mithilfe von schriftlichen Fragebögen oder durch Online-Umfragen. In gut zwei Drittel der Umfragen berichteten die Schüler*innen und Studierende ihre akademischen Leistungen. Bei der überwiegenden Mehrheit der Umfragen wurde nach dem Grade Point Average (GPA) gefragt. Bei etwa einem Drittel der Studien wurden die Schulnoten aus Schulzeugnissen bezogen.

Ergebnisse

Allgemeine SNS-Nutzung und schulischer Erfolg

Der durchschnittliche Zusammenhang zwischen Leistungserfolg und der allgemeinen SNS-Nutzung betrug ρ̂ = -.07. Die allgemeine SNS-Nutzung hängt somit signifikant, wenn auch schwach, mit schlechteren schulischen Leistungen zusammen. Trotz Signifikanz ist die Korrelation nach Cohens25 oft zitiertem Werk zur Interpretation der Effektstärke jedoch eher gering.

Ähnlich wie auch in Hatties26 mehrfach zitierter Zusammenfassung von Meta-Analysen über die Einflüsse auf schulische Leistungen, war die Effektstärke bis zu r = .10 weit unter dem Durchschnittseffekt (r = .20) und wurde als unbedeutend gewertet. Eine so geringe Effektgröße sei es nicht wert, die Zeit der Lehrperson zu verschwenden.

 

Multitasking SNS-Nutzung und schulischer Erfolg

Unsere meta-analytische Untersuchung zeigte einen negativen Zusammenhang (ρ̂ = -.10) zwischen Schulnoten und der Multitasking Nutzung von SNS. In Übereinstimmung mit früheren Theorien27, steht die gleichzeitige Nutzung von SNS und Lernzeiten in Zusammenhang mit schlechteren Schulnoten.

 

Schulbezogene SNS-Nutzung und schulischer Erfolg

Im Falle der SNS-Nutzung für akademische Zwecke, konnten wir einen positiven Zusammenhang zwischen schulischer SNS-Nutzung und schulischem Erfolg feststellen (ρ̂ = .08). Je aktiver die Schüler in der SNS-Nutzung für schulische Zwecke waren, desto besser waren die Noten.

 

Allgemeine SNS-Nutzung und Lernzeit

Der durchschnittliche Zusammenhang zwischen der allgemeinen SNS-Nutzung und der Lernzeit von 10 individuellen Stichproben war statistisch nicht signifikant (ρ̂ = -.03). Allgemeine SNS-Nutzung kann nicht mit Lernzeit in Verbindung gebracht werden.

Visualisierung der Effektstärken

Je mehr sozialen Medien für schulische Zwecke genutzt werden, desto besser ist die Schulleistung, ρ̂ = .08, allerdings ist dieser Zusammenhang sehr klein.

 

Nutzung sozialer Medien für schulische Zwecke und Schulleistung

Je mehr Zeit allgemein mit sozialen Medien verbracht wird, desto schlechter ist die Schulleistung, ρ̂ = -.07, allerdings ist dieser Zusammenhang sehr klein.

Allgemeine SNS-Nutzung und Schulleistung

Je mehr Multitasking mit sozialen Medien betrieben wird, desto schlechter ist die Schulleistung, ρ̂ = -.10, allerdings ist dieser Zusammenhang sehr klein.

Multitasking SNS-Nutzung und Schulleistung

Wie viel Zeit zum Lernen verwendet wird hängt nicht mit der Zeit in soziale Medien zusammen, ρ̂ = -.03.

Allgemeine SNS-Nutzung und Lernzeit

Zum Vergleich: Der Zusammenhang zwischen Intelligenz und Schulleistung ist deutlich größer, ρ̂ = .5428.

Intelligenz und Schulleistung

Fazit

Es wurden vier Meta-Analysen zum Zusammenhang zwischen SNS-Nutzung und schulischer Leistung durchgeführt. Unsere Arbeit unterstreicht, dass SNS positiv mit akademischem Erfolg zusammenhängen können, solange die SNS-Nutzung akademischen Zwecken dient. Dies steht im Widerspruch zu den Ängsten vieler Eltern und Lehrer, die einen unvermeidbar schädlichen Einfluss von SNS auf schulische Erfolge befürchten. Jedoch war eine nicht schulbezogene SNS-Nutzung mit schlechteren akademischen Leistungen assoziiert. Allerdings waren alle in diese Meta-Analysen miteinbezogenen Zusammenhänge eher schwach, nur ein kleiner Teil der Leistungserfolge der Schüler*innen und Studierenden kovariierte mit der SNS-Nutzung. Die Annahme, dass die Zeit für SNS zulasten der Lernzeit ginge, konnte nicht bestätigt werden. Trotz der starken Zunahme von SNS in der Gesellschaft scheinen SNS-Aktivitäten nur eine schwache Verbindung zu schulischem Leistungserfolg zu haben.

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Literatur

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3 Tokunaga, R. S. (2016). An examination of functional difficulties from internet use: media habit and displacement theory explanations. Human Communication Research, 42, 339–370. 

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11 Levenson, J. C., Shensa, A., Sidani, J. E., Colditz, J. B., & Primack, B. A. (2016). The association between social media use and sleep disturbance among young adults. Preventive Medicine, 85, 36–41. 

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14 Pillai, V., Roth, T., Mullins, H. M., & Drake, C. L. (2014).Moderators and mediators of the relationship between stress and insomnia: stressor chronicity, cognitive intrusion, and coping. Sleep, 37, 1199–1208. 

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23 Pasek, J., More, E., & Hargittai, E. (2009). Facebook and academic performance: reconciling a media sensation with data. First Monday, 14

24 Marker, C., Gnambs, T., & Appel, M. (2018). Active on Facebook and failing at school? Meta-analytic findings on the relationship between online social networking activities and academic achievement. Educational Psychology Review, 30, 651-677. 

25 Cohen, J. (1992). A power primer. Psychological Bulletin, 112, 155–159. 

26 Hattie, J., & Marsh, H. W. (1996). The relationship between research and teaching: A meta-analysis. Review of educational research, 66, 507-542. 

27 van der Schuur, W. A., Baumgartner, S. E., Sumter, S. R., & Valkenburg, P. M. (2015). The consequences of media multitasking for youth: a review. Computers in Human Behavior, 53, 204–215. 

28 Roth, B., Becker, N., Romeyke, S., Schäfer, S., Domnick, F., & Spinath, F. M. (2015). Intelligence and school grades: A meta-analysis. Intelligence, 53, 118-137.