Soziale Medien und Narzissmus

Basierend auf Gnambs & Appel, 2018, Journal of Personality

Was ist Narzissmus?

Wissenschaftler*innen, die sich für menschliches Erleben und Verhalten interessieren, beschreiben exzessive Selbstliebe seit dem späten 19. Jh. als Narzissmus.1 Der Name basiert auf der mythologischen Figur Narziss, welcher sich – statt dem Werben der Nymphe Echo zu folgen – in sein eigenes Spiegelbild in einer Teichoberfläche verliebte. Narzissmus wird durch ein überhöhtes Selbstgefühl und einen überhöhten Anspruch an sich selbst charakterisiert. In der psychologischen Forschung und -Praxis wird Narzissmus häufig als Persönlichkeitseigenschaft konzipiert. Jeder Person einer Gesellschaft kann demnach eine Ausprägung von niedrigem bis hohem Narzissmus zugeordnet werden. Es gibt jedoch auch eine klinische Form von Narzissmus, die narzisstische Persönlichkeitsstörung.2

Betrachtet man Narzissmus als Persönlichkeitseigenschaft, treten zwei verschiedene, wenn auch zusammenhängende Formen des Narzissmus auf 3: grandioser Narzissmus beinhaltet einen Sinn für Selbstwichtigkeit, Einzigartigkeit, Dominanz und Grandiosität. Verwundbarer Narzissmus wird durch Unsicherheit, interpersonale Hypersensitivität und sozialen Rückzug charakterisiert. Individuen mit stark ausgeprägtem grandiosem Narzissmus (diese Form hat in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit erhalten) nehmen sich als begabt, bemerkenswert und erfolgreich wahr und Individuen mit starkem grandiosem Narzissmus betreiben aktive Selbstpräsentation (sie neigen dazu, mit ihrem Erfolg anzugeben4). Diese Individuen brauchen andere Menschen, um ihre hohen und überlegenen Eigenschaften und Errungenschaften zu demonstrieren.5 Das große Selbstbewusstsein von Narzissten ist instabil und sie reagieren häufiger aggressiv, wenn ihr beschönigtes Selbstkonzept bedroht wird.

 

Narzissmus und soziale Medien: Hintergrund

Bisherige Forschung identifizierte einen Anstieg des Narzissmus mit der Zeit („Generation Me“6) – aber nicht alle Wissenschaftler*innen unterstützen diese Einschätzung.7 Unterschiede im Narzissmus über die Zeit wurden in Verbindung mit der vorherrschenden Medienkultur gebracht, von der angenommen wird, dass sie den Narzissmus von Individuen widerspiegelt und formt.8
Seit seinen Anfangstagen wurden Bedenken geäußert, dass Facebook eine Spielwiese ist, auf der narzisstische Tendenzen verstärkt werden, indem User*innen dazu ermutigt werden, sich häufig und positiv darzustellen.9; 10 Tatsächlich beinhalten soziale Netzwerke bestimmte Kommunikationseigenschaften, die sich von der Offline-Kommunikation unterscheiden.11 Diese könnten narzisstischen Tendenzen entgegenkommen:

  1. Soziale Netzwerke bieten einfachen Zugang zu einer großen Menge anderer Individuen. User*innen haben die Möglichkeit, selbstbezogene Informationen an eine große Zielgruppe zu senden und Feedback über sich selbst sowie Informationen über andere zu erhalten.
  2. Soziale Netzwerke bieten teilweise oder komplette Anonymität. Nutzende können recht frei wählen, welche Informationen sie über sich präsentieren wollen, da die Wahrscheinlichkeit, dass diese Informationen auf Konsistenz mit tatsächlichen Charakteristiken oder Errungenschaften überprüft werden, geringer ist.
  3. Die Asynchronität der Kommunikation in sozialen Netzwerken erlaubt den Nutzenden, ihre Selbstdarstellung sorgfältig zu gestalten.

Haben Individuen, die soziale Medien intensiv nutzen, höhere Werte in Narzissmus-Fragebögen? Die vorhandene Forschung ist über verschiedene Disziplinen verteilt und bleibt etwas uneindeutig: Viele Studien unterstützen die Annahme eines Zusammenhangs zwischen grandiosem Narzissmus und der Anzahl der Kontakte in sozialen Netzwerken12, 13, während andere keine14, 15 oder umgekehrte Zusammenhänge16 finden. Ähnlich dazu betonen einige narrative Reviews einen Zusammenhang zwischen der Nutzung sozialer Netzwerke und Narzissmus8, während andere den Zusammenhang als nicht etabliert betrachten.18 Zur Vermeidung von sog. Rosinenpickerei bei der Zitation von Studien, wurde eine Meta-Analyse zum Zusammenhang der SNS-Nutzung mit Narzissmus durchgeführt.

Ergebnisse

Die Meta-Analyse basierte auf 57 Studien, die zwischen 2008 und 2015 publiziert wurden. Die meisten Studien wurden entweder in Journals mit Peer-Review-Verfahren (68%) oder Büchern (2%) publiziert. Unveröffentlichte Werke erschienen in Abschlussarbeiten/Dissertationen (23%), Tagungsberichten und Forschungsberichten (8%). Der meta-analytische Datenbestand schloss 62 unabhängige Stichproben mit 289 Effektstärken ein, wobei jede Stichprobe zwischen einer und 32 (Mdn = 3) Effektstärken beisteuerte. Die Meta-Analyse untersuchte 25.631 Versuchspersonen (N der Samples: zwischen 31 und 2.927) aus 16 Ländern. Etwa 50% aller Stichproben stammen aus den Vereinigten Staaten, 21% aus Europa und 15% aus Asien. Ungefähr 60% der Teilnehmenden waren weiblich und das Alter der Stichproben lag zwischen 14 und 35 Jahren.
Die meisten Korrelationen (85%) beinhalteten Varianten des Narcissistic Personality Inventory.20 Bei den betrachteten Korrelationen stellten Facebook (58%) und Twitter (14%) die am häufigsten untersuchten Netzwerke dar. Der Rest betrachtete allgemeine soziale Netzwerke (11%) oder verschiedene regionale oder spezielle zweckgebundene Plattformen wie StudiVZ oder Weibo.

Die vorliegende Meta-Analyse liefert drei zentrale Befunde:

  1. Es konnte ein Gesamtzusammenhang zwischen dem Verhalten in sozialen Netzwerken und grandiosem Narzissmus von r = .17 identifiziert werden. Dieser konnte über verschiedene Bedingungen hinweg repliziert werden: Narzissmus sagte Aktivitäten auf Facebook, Twitter oder anderen sozialen Netzwerken gleich gut vorher. Der Zusammenhang unterschied sich nicht nach der Geschlechterzusammensetzung der Stichprobe oder dem Alter der Versuchspersonen und es zeigten sich keine Unterschiede zwischen älteren und aktuelleren Studien. Der Zusammenhang hatte eine kleine bis moderate Größe, je nach Interpretationsrichtlinien.21;22 Diese Größe ist im gleichen Bereich wie Effektstärken, die häufig in der angewandten Psychologie gefunden werden.23; 24 Zum Vergleich: Ein aktuelles Review23, das fast 8.000 Effektstärken untersucht, berichtet, dass empirische Zusammenhänge zwischen Einstellungen und Verhalten üblicherweise r = .16 betragen.

     

  2. Es wurde eine differenzierte Untersuchung des Zusammenhangs zwischen sozialen Netzwerken und Narzissmus durchgeführt. Wie erwartet war der Zusammenhang mit grandiosem Narzissmus stärker als der mit vulnerablem Narzissmus (dieser zweite Zusammenhang war nicht signifikant). Die Daten weisen außerdem darauf hin, dass narzisstische Menschen einen größeren Kreis an Kontakten besitzen und besonders geneigt sind, Fotos hochzuladen. Zudem tendieren sie dazu, sich stark mit Facebook verbunden zu fühlen (Facebook intensity25). Daher zeigen Narzissten, obwohl sie tendenziell mehr Zeit in sozialen Netzwerken verbringen, eher spezifische Nutzungsmuster. Dieses Nutzungsverhalten erklärte zusammen etwa 20% der Unterschiede in den beobachteten Effekten und war daher teilweise für die heterogenen Befunde in der publizierten Literatur verantwortlich.

     

  3. Der meta-analytische Ansatz erlaubte es, die Befunde aus verschiedenen Ländern zu vergleichen und sie mit den jeweiligen kulturellen Kontexten in Verbindung zu bringen: Während der Zusammenhang zwischen individualistischen und kollektivistischen Ländern vergleichbar war, war der Zusammenhang in Ländern besonders stark, die eine hohe Machtdistanz26 aufweisen; also in Gesellschaften, in denen die Schichtung der Gesellschaft als festgelegt und der Platz der Bürger*innen als gegeben angesehen wird.

Je mehr sozialen Medien genutzt werden, desto eher zeigt eine Person grandiosen Narzissmus, ρ̂ = .18, allerdings ist dieser Zusammenhang eher klein.

Grandioser Narzissmus und Nutzung sozialer Medien

Es gab keinen Zusammenhang zwischen vulnerablem Narzissmus und sozialen Medien, ρ̂ = .08.

Vulnerabler Narzissmus und Nutzung sozialer Medien

Fazit

Der Zusammenhang zwischen Narzissmus und dem Nutzungsverhalten in sozialen Netzwerken wird von empirischer Forschung unterstützt. Er unterscheidet sich nicht nach Plattform (z.B. Facebook vs. Twitter), Durchschnittsalter, Geschlecht, oder dem Durchführungsjahr der Studie. Dennoch beschränkt sich der Zusammenhang auf die grandiose Form des Narzissmus. Zusätzlich variiert er mit der Machtdistanz in einer Kultur und dem spezifischen Verhalten in sozialen Netzwerken, das untersucht wird. Von zukünftiger Forschung wird erwartet, dass sie Längsschnittdesigns nutzt, um Nutzungsmuster in sozialen Netzwerken theoriebasiert zu untersuchen und um die Suche nach moderierenden Variablen zu intensivieren.

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Literatur

1 Ellis, H. (1898). Auto-eroticism: A psychological study. Alienist and Neurologist, 19, 260–299.

2 Pincus, A. L., & Lukowitsky, M. R. (2010). Pathological narcissism and narcissistic personality disorder. Annual Review of Clinical Psychology, 6, 421–446.

3 Miller, J. D., Hoffman, B. J., Gaughan, E. T., Gentile, B., Maples, J., & Campbell, W. K. (2011). Grandiose and vulnerable narcissism: A nomological network analysis. Journal of Personality, 79, 1013–1042.

4 Paulhus, D. L. (1998). Interpersonal and intrapsychic adaptiveness of trait self-enhancement: A mixed blessing? Journal of Personality and Social Psychology, 74, 1197–1208.

5 Wallace, H. M., & Baumeister, R. F. (2002). The performance of narcissists rises and falls with perceived opportunity for glory. Journal of Personality and Social Psychology, 82, 819–834.

6 Twenge, J. M., Konrath, S., Foster, J. D., Campbell, W. K., & Bushman, B. J. (2008). Egos inflating over time: A cross-temporal meta-analysis of the Narcissistic Personality Inventory. Journal of Personality, 76, 875–902.

7 Trzesniewski, K. H., & Donnellan, M. B. (2010). Rethinking “generation me”: A study of cohort effects from 1976–2006. Perspectives in Psychological Science, 5, 58–75.

8 Twenge, J. M. (2013). Does online social media lead to social connection or social disconnection? Journal of College and Character, 14, 11–20.

9 Buffardi, L. E., & Campbell, W. K. (2008). Narcissism and social networking web sites. Personality and Social Psychology Bulletin, 34, 1303–1314.

10 Rosen, C. (2007). Virtual friendship and the new narcissism. The New Atlantis, , 15-31.

11 Valkenburg, P. M., & Peter, J. (2011). Online communication among adolescents: An integrated model of its attraction, opportunities, and risks. Journal of Adolescent Health, 48, 121–127.

12 Fox, J., & Rooney, M. C. (2015). The Dark Triad and trait self-objectification as predictors of men’s use and self-presentation behaviors on social networking sites. Personality and Individual Differences, 76, 161–165.

13 Panek, E. T., Nardis, Y., & Konrath, S. (2013). Mirror or Megaphone?: How relationships between narcissism and social networking site use differ on Facebook and Twitter. Computers in Human Behavior, 29,2004–2012.

14 Lee, E., Ahn, J., & Kim, Y. J. (2014). Personality traits and self-presentation at Facebook. Personality and Individual Differences, 69, 162–167.

15 Utz, S., Tanis, M., & Vermeulen, I. (2012). It is all about being popular: The effects of need for popularity on social network site use. Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking, 15, 37–42

16 Skues, J. L., Williams, B., & Wise L. (2012). The effects of personality traits, self-esteem, loneliness, and narcissism on Facebook use among university students. Computers in Human Behavior, 28, 2414–2419.

17 Wang, J. L., Jackson, L. A., Zhang, D. J., & Su, Z. Q. (2012). The relationships among the Big Five Personality factors, self-esteem,narcissism, and sensation-seeking to Chinese University students’ uses of social networking sites (SNSs). Computers in Human Behavior, 28, 2313–2319.

18 Ferguson, C. J. (2016). Social media, societal changes, and mental health: You can live online wholesale. In H. S. Friedman (Ed.), Encyclopedia of mental health (Vol. 4, 2nd ed., pp. 179–183). Waltham, MA: Academic Press.

19 Gnambs, T., & Appel, M. (2018). Narcissism and Social Networking Behavior: A Meta‐Analysis. Journal of personality, 86(2), 200-212.

20 Raskin, R., & Terry, H. (1988). A principal-components analysis of the Narcissistic Personality Inventory and further evidence of ist construct validity. Journal of Personality and Social Psychology, 54, 890–902.

21 Cohen, J. (1988). Statistical power analysis for the behavioral sciences. Hillsdale, NJ: Erlbaum.

22 Fritz, C. O., Morris, P. E., & Richler, J. J. (2012). Effect size estimates: Current use, calculations, and interpretation. Journal of Experimental Psychology: General, 141, 2–18.

23 Bosco, F. A., Aguinis, H., Singh, K., Field, J. G., & Pierce, C. A. (2015). Correlational effect size benchmarks. Journal of Applied Psychology, 100, 431–449.

24 Richard, F. D., Bond, C. F., Jr., & Stokes-Zoota, J. J. (2003). One hundred years of social psychology quantitatively described. Review of General Psychology, 7, 331–363.

25 Ellison, N. B., Steinfield, C., & Lampe, C. (2007). The benefits of Facebook “friends”: Social capital and college students’ use of online social network sites. Journal of Computer-Mediated Communication, 12, 1143–1168.

26 Hofstede, G., Hofstede, G. J., & Minkov, M. (2010). Cultures and organizations. New York: McGraw Hill.